Presseartikel: Captain Cork 5
„Ist trocken wirklich TROCKEN? Maat Thomas Golenia macht Klarschiff bei der Begriffsverwirrung über dieses Wort. Und trinkt dazu einen beispielhaften Riesling aus der Pfalz, der wirklich trocken ist.
Mit trockenem Weißwein ist das in Deutschland so eine Sache. Da ist die deutsche Zunge schlichtweg paradox.
Denn Weißwein muss beim Kunden trocken sein, darf aber bloß nicht trocken schmecken.
Es ist verrückt, entspricht aber der Erfahrung, die ich seit Jahren im Weinverkauf mache. Ein fiktives, aber typisches Verkaufsgespräch, wie ich es häufig geführt habe, zeigt was ich meine.
Der Kunde betritt das Geschäft. Er verlangt Weißwein, nicht zu teuer. Sagen wir maximal sieben Euro die Flasche. Gemessen am Durchschnittspreis aller verkauften Weinflaschen sind 7 Euro schon eine ordentliche Ansage im Schnäppchendeutschland. Aber egal. Die Preisgrenze ist gesetzt, ich als Verkäufer muss jetzt handeln. Meist schiebt der Kunde „soll trocken sein“ hinterher, oder ich frage nach, welche Geschmacksrichtung er bevorzugt. Meiner Einschätzung nach beantworten auch hier 98,3 % aller Kunden diese Frage mit „trocken“.
Wer „trocken“ sagt, meint gar nicht trocken.
Jetzt kommt das deutsche Geschmacksparadoxon ins Spiel. Vielen Kunden schmeckt nämlich trockener Weißwein gar nicht richtig. Verlangt wird „trocken“ nur, weil viele es nicht anders kennen. Oft habe ich es erlebt, dass Kunden die Sonne auf den Geschmacksknospen aufging, wenn der Probierschluck im Glas halbtrocken war, ohne dies vorher anzukündigen.
Vielen schmeckt dezente Restsüße bei Weißwein mehr, als sie zu Anfang zugeben würden. Solche Weine offen und ehrlich im Laden verlangen machen aber die wenigsten. Halbtrocken? Süße? Nein danke. Man könnte sich ja vor den Gästen blamieren, auch wenn es einem persönlich doch gut schmeckt.
Also bitte nur Weißwein, bei dem „trocken“ auf dem Etikett steht. So hat man es gelernt, seit den 80er Jahren.
Halbtrocken, lieblich, edelsüß? Ochnee…
Wenn man im Weinladen hinter der Theke steht, ist diese besagte „Weißwein-muss-trocken-sein-Welle“ bis heute spürbar. Alles offiziell Halbtrockene, Liebliche und Edelsüße ist nur mit viel Überzeugungsarbeit verkäuflich. Für die Freaks ist Süße kein Problem, doch die Mehrheit bleibt skeptisch.
Dieses Geschmacksparadoxon wird heute geschickt von deutschen Winzern bedient. Um dem Konsumenten das ungeliebte Attribut „halbtrocken“ zu ersparen (wo er es doch eigentlich ganz gern mag), wurden Euphemismen erfunden, die jeden Hinweis auf Süße vernebeln sollen. „Feinherb“ zum Beispiel.
Das klingt hübsch, weltgewand, weich und positiv. Die Winzer dürfen weinrechtlich dieses komische „feinherb“ statt „halbtrocken“ auf das Etikett drucken, obwohl der Wein noch süßer sein könnte als unter dem Label „halbtrocken“. Was für eine verkehrte Welt!
Fruchtherb, feinfruchtig – alles Täuschung.
Auch Fantasiebezeichnungen wie „fruchtherb“ und „feinfruchtig“ habe ich zu meinem Erstaunen schon auf Messen erleben dürfen, abgedruckt in Preislisten, um den Verbraucher zu täuschen. Drauf angesprochen, windet und wendete sich der Winzer, nur um nicht zugeben zu müssen, dass all seine Weißweine weinrechtlich eben nicht „trocken“ sind, sondern dem ungeliebten „halbtrocken“ entsprechen. Wer das offen zugibt, verkauft den Wein schlechter, höre ich immer wieder. Nach fünf mal Nachbohren musste das auch der besagte Fantasienamen-Winzer zugeben. Denn wir wissen ja: Der deutsche Kunde will eigentlich „trocken“ auf dem Etikett lesen, aber viel lieber „halbtrocken“ im Glas haben.
Es gibt ein echtes TROCKEN.
Dabei gibt es nur noch wenige Weingüter in Deutschland, die bei ihrem Weißweinsortiment recht konsequent die Trockenfahne hochhalten. Und wenn ich trocken meine, dann meine ich klassisches knochentrocken. So einer ist Karl Schaefer, obwohl schon seit hundert Jahren tot, führt man seinen traditionsreichen Namen am Weingut seit Generationen fort. Man verpflichtet sich bei Schaefer an der Pfälzer Mittelhaardt dem echten und trockenen Stil.
Man besetzt damit eine Nische in Deutschland, denn es gibt wenige Winzer, die es wagen, ihre Weißweine völlig nackt ohne Süße stehen zu lassen. Das ist nämlich eine önologische Kunst. Oder andersherum: Es ist einfacher für den Winzer, einige Gramm Zucker mehr in den Weißwein zu klatschen, damit er deutlich voluminöser und üppiger schmeckt, ohne die analytische Grenze zu „halbtrocken“ zu überschreiten.
Leichtes Süßeln schmeckt halt.
Wie man weiß, kaschiert Süße Fehlerchen. Süße simuliert Frucht, wo möglicherweise keine ist. Und leichtes Süßeln schmeckt dem Mainstream. Ganz einfach. Und deswegen sind Weingüter wie Karl Schaefer mit ihren knochentrockenen Weinen eine Nische im süßelnden Weinland Deutschland.
Schaefers „Fossilium“ Ungsteiner Riesling ist ein gutes Beispiel für einen knochentrockenen Riesling. Ich nenne das Riesling ohne Schminke. Im Glas zeigt er seine dichte Nase, würzig (typisch Pfalz), gelbe junge Früchte. Alles so, wie man das von vielen guten Rieslingen her kennt.
Geschmacklich ist dieser Wein anders. Er zeigt sich säuregeprägt. Die Süße, die Säure normalerweise kaschiert, fehlt und macht den Wein zu einem echten „unplugged“ Erlebnis. Boden, Säure, Härte. Ein Wein, der um Aufmerksamkeit buhlt. Als unkompliziertes Leckerweinchen nebenbei weggeschlürft zu werden, liegt ihm nicht. Einarbeitungszeit zu diesem Stoff sollte man mitbringen.“