F.A.Z. „Der Mann, der an die Trüffel glaubt“
F.A.Z. Artikel Online 27.06.2022
Der Wald- und Weinunternehmer Job von Nell vereint Genuss und Nachhaltigkeit. Der Schutz des Bodens sei ein Ideenfeld neuer Geschäftsmodelle. Schließlich bekomme man so viel zurück, wenn man den Boden nur pfleglich behandle.
Riesling und Trüffel. Klingt köstlich. Ein genussvoller Abend mit Freunden oder im Urlaub. Man könnte sich noch eine großartige Aussicht dazuträumen. Aber Job von Nell lenkt den Blick auf die Erde. Schwärmt von Humus und Mikroorganismen, von den vielen Funktionen des Ökosystems Boden. „Wir bekommen so viel zurück, wenn wir den Boden pfleglich behandeln. Das ist die Grundvoraussetzung für hochwertige Produkte“ – wie edle Rieslinggewächse oder Trüffel. Job von Nell war Projektentwickler für Unternehmensimmobilien. Auch da zählte Boden. Aber natürlich ganz anders. „Man läuft darauf herum und macht sich keine Gedanken über das Leben im Erdreich.“
In Zeiten des Klimawandels sind CO2-Senken die neuen Höhenflüge. „Ich habe insgesamt ein sehr glückliches Berufsleben“, sagt der Fünfundsechzigjährige im Gespräch mit der F.A.Z. „Aber mit der Entscheidung für die Land- und Forstwirtschaft begann die glücklichste Zeit.“ Früher hat er – sehr erfolgreich – die Marktnische sogenannter Light-Industrial-Immobilien erschlossen, ehemalige Gewerbehöfe oder Lagergebäude. Heute denkt er darüber nach, „wie sich die Chancen der Wirtschaftsgüter Wald und Weinberg heben lassen“.
Von Nell ist Geschäftsführer des VDP-Weinguts Karl Schaefer in Bad Dürkheim, das er gemeinsam mit seiner Frau Nana betreibt. Auf 18 Hektar Rebfläche, darunter eine imponierende Zahl erster und großer Lagen, baut das Ehepaar Rieslinge der Spitzenklasse an. Knapp 100 Kilometer weiter, im Hunsrück, befindet sich sein Forstbetrieb, die von Nell‘sche Forstverwaltung: Rund 750 Hektar Wald werden dort naturnah bewirtschaftet. „Aber die Bedeutung des Waldes wird immer weniger in der Vermarktung von Holz und Wild liegen“, sagt von Nell. „Wir brauchen den Wald als Nährstoff- und Wasserspeicher, für den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt und für unser eigenes Wohlbefinden.“ Von Nell hat Windkraftanlagen im Wald. Das funktioniere „supergut“, und der Artenvielfalt habe es nicht geschadet.
Ein Wald ganz besonderer Art soll auf einer Ackerfläche im Hunsrück entstehen. Dort hat von Nell vor eineinhalb Jahren rund 2000 mit Trüffelgeflecht geimpfte Bäumchen setzen lassen. Beteiligt an dem Trüffelabenteuer sind 100 „Baumpaten“. Gegen Zahlung eines Jahresbetrages von 250 Euro werden sie in sieben bis zehn Jahren anteilig an der Ernte teilhaben – wenn die kostbaren Pilze tatsächlich gedeihen.
Eine lange Familientradition
Genuss und Nachhaltigkeit sind für von Nell kein Widerspruch. „Der Trüffel ist ein landwirtschaftliches Produkt, das sehr hohe Ansprüche an den Boden stellt.“ Das Wimmeln im Erdreich, die ständigen Abbau- und Aufbauprozesse – der Schutz des Bodens ist für den rührigen Unternehmer ein Ideenfeld für neue Geschäftsmodelle. „Die ökologische Transformation ist unglaublich bereichernd, auch wegen der vielen interessanten Begegnungen, gerade mit jungen Leuten.“
Zugleich knüpft von Nell als Wald- und Weinunternehmer an eine lange Familientradition an. Der Vater seiner Mutter, August von Schorlemer, war deutscher Weinbaupräsident in den 1920er-Jahren. Der Urgroßvater, Clemens Freiherr von Schorlemer, diente unter Bismarck als preußischer Landwirtschaftsminister. Von Nell selbst verbrachte die Sommer seiner Kindheit und Jugend auf dem Bauernhof bei Verwandten in der Pfalz. Nach dem Abitur stand für ihn fest, er wollte Landwirtschaft studieren. Groß war dann die Enttäuschung, dass der Notendurchschnitt nicht reichte. Also Rechtswissenschaften. „Pflichtbewusst und mit Erfolg, aber ohne Leidenschaft.“ Trotzdem entschloss sich von Nell, noch zu promovieren. Die Dissertation überreichte er seinem Großonkel zum 100. Geburtstag. Der Beschenkte war Oswald von Nell-Breuning. „Ich dachte, das kommunalrechtliche Thema werde ihn als Verfechter des Subsidiaritätsprinzips interessieren.“
Von Nell wechselte von der Universität in die Kreditwirtschaft, Schwerpunkt Immobilienfinanzierung. Während seiner Zusatzausbildung zum Immobilienökonom in Oestrich-Winkel lernte er seine späteren Geschäftspartner kennen. In Berlin gründeten die drei Banker 1997 die heutige BEOS AG. Die Spezialisierung auf Gewerbeimmobilien und deren Revitalisierung sollte sich als Glücksfall erweisen. „Wir haben toll zusammengearbeitet und sehr gut Geld verdient“, fasst von Nell zusammen. Dann kam die Finanzkrise. Zeit für den Abschied aus dem Immobiliengeschäft, beschloss von Nell.
In der Familie seiner Frau Nana wurde damals nach einem neuen Pächter für das traditionsreiche Weingut Karl Schaefer von 1843 gesucht. Job von Nell suchte eine neue Aufgabe, und er hatte Kapital. Also beschlossen er und seine Frau, die Volkswirtin ist und bei KGMG arbeitete, das Weingut zu übernehmen. „Wenn ich Ahnung vom Weinanbau gehabt hätte, hätte ich das nicht gemacht“, sagt er rückblickend. Zwar wussten die von Nells von der „angespannten Lage“ des Weinguts. „Aber es hat dann nicht drei Jahre, sondern 10 Jahre gedauert, um wettbewerbsfähig zu werden.“ Grund dafür war vor allem die langwierige und aufwendige Verbesserung der Böden. „Nur wenn alles stimmt, kann der Wein seine eigene Geschichte erzählen.“
Auch von Nells neuestes Projekt verlangt Ausdauer: Als Mitgründer von „Carboforst“ will er den Aufbau von Wäldern vorantreiben, die dem Klima- und Artenschutz helfen. Dafür sollen regionale und lokale Partnerschaften mit Unternehmen, Institutionen und Waldbesitzern entstehen. Die Arrangements sind zunächst auf zehn Jahre angelegt. Dann ist Job von Nell Mitte siebzig. Doch den langen Zeithorizont seiner Projekte sieht er mit Gelassenheit. „Die Vitalität guten Bodens, das Wachsen und Gedeihen, all das gibt mir enorm viel.“